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Organisation 4.0

Der Begriff der Industrie 4.0 steht für die vierte technische Revolution, die dank intelligenter Maschinen und extremer Vernetzung vor allem Auswirkungen auf die produzierende Industrie hat. Die Organisation 4.0 könnte demnach ausschließlich als strukturelle Reaktion auf technische Neuerungen verstanden werden. Künstliche Intelligenz, Big Data und die Vernetzungsmöglichkeiten zwischen Menschen und Gegenständen beeinflussen Geschäftsmodelle und Kundenverhalten, so dass der Aufbau und die Abläufe in Unternehmen entsprechend angepasst werden müssen. Die Digitalisierung unserer Gesellschaft, die durch den Breitbandausbau gefördert wird und insgesamt auf eine allgemeine Internetaffinität der Bevölkerung stößt, kann daher als erheblicher Treiber für organisationale Änderungen benannt werden (Vgl. Brynjolfsson/McAfee 2014). Als weitere Treiber sind jedoch auch ökonomische und soziale Entwicklungen zu nennen. Arbeitskräfte von heute legen auf eine ausgeglichene Work-Life-Balance größeren Wert und alte Führungskonzepte werden kaum noch akzeptiert. Eine stärkere Entgrenzung und Flexibilisierung der Arbeit wird sowohl von Arbeitnehmern als auch Arbeitgebern erwartet, die sich ebenfalls in neuen Organisationskonzepten widerspiegeln sollte. Die Organisation 4.0 ist damit ein Phänomen, welches nicht nur durch intelligente Computerleistungen, sondern auch demokratische und freiheitliche Prozesse und Unternehmenskulturen beschrieben werden kann (Vgl. Universität St. Gallen/Telekom Shareground 2015). Zur Veranschaulichung soll im Folgenden das Crowdworking als ein Beispiel der Organisation 4.0 herangezogen werden, sodass Herausforderungen und Handlungsansätze aus Sicht des Personalmanagements beispielhaft erörtert werden können.
Beim Crowdworking werden Aufträge, meist zerteilt in kleinere Aufgaben, über digitale Plattformen an Crowdworker vergeben. Dies kann sowohl an die eigenen Beschäftigten erfolgen (internes Crowdworking) als auch an Dritte (externes Crowdworking), die z.T. als Solo-Selbständige für Auftraggeber weltweit arbeiten. Je nach Qualifikation und Aufgabenstellung können diese Tätigkeiten sehr anspruchsvoll sein und ein Zusammenarbeiten mehrerer Crowdworker erfordern (Vgl. Apt et al. 2016). Ein in Deutschland tätiges IT-Unternehmen lässt beispielsweise im Rahmen einer selbstentwickelten Plattform neue Software-Projekte intern und extern ausschreiben und dezentral umsetzen. Das Projekt wird in kleine Einheiten aufgeteilt, die im Regelfall nicht länger als zwei Wochen dauern. Auf der Plattform bewerben sich festangestellte Mitarbeiter und Freelancer mit einer kurzen Vorstellung auf die jeweiligen Projekte. Es finden sich weltweit Interessenten, überproportional viele Bewerber aus Indien, Brasilien und den Philippinen. Bereits in diesem kleinen Beispiel verbergen sich zahlreiche Herausforderungen für die Arbeitsgestaltung und den Arbeitsplatzbedarf eines Unternehmens, welche das Personalmanagement berücksichtigen sollte.
Die Personalbedarfsplanung beinhaltet die Ermittlung des gegenwärtigen und zukünftigen Personalsollbestands, der zur Realisierung der Unternehmensziele erforderlich ist. Dabei werden verschiedene Ziele verfolgt: die Erhöhung der Wirtschaftlichkeit, die Sicherung der Leistungserbringung, die Verbesserung der Innovationsfähigkeit sowie die Gewährleistung einer angemessenen und gleichmäßigen Arbeitsbelastung der Mitarbeiter. Beim Einsatz einer Crowdworking-Plattform ist die Anzahl der benötigten Arbeitskräfte durch projektbezogene Bemessungen in Erfahrung zu bringen. Die verschiedenen Arbeitseinheiten des Projekts sind so festzulegen, dass die bestmögliche Passung zwischen Arbeitskraft und Aufgabe entsteht. Dies setzt Kenntnisse über die Teilbarkeit der konkreten Arbeit voraus sowie die Fähigkeit, Teilaufgaben präzise zu definieren, um letztlich eine reibungslose Synthese der Teilaufgaben und eine durchgängige Qualität garantieren zu können.
Ferner ist bei der Personalbedarfsbestimmung einer Crowdworking-Plattform die Arbeitsbelastung der Arbeitskräfte zu berücksichtigen. Ausschreibungen haben Wettbewerbscharakter und unterstützen auf diese Weise kreative Innovationen. Gleichzeitig muss durch die Öffnung der Arbeit für externe Arbeitskräfte die Belastung (insbesondere) der eigenen Mitarbeiter analysiert werden, sowohl hinsichtlich einer Überlastung als auch einer zu geringen Auslastung. Die Mitarbeiter könnten zudem auch mit Verlustängsten hinsichtlich ihres Arbeitsplatzes reagieren.
Aus Sicht der Personalbeschaffung ist zu überlegen, ob eine eigene Plattform für die Entwicklung und Umsetzung von neuen Software-Projekten die bestmögliche Lösung ist. Zentrale Aufgabe der Personalbeschaffung ist die bedarfsgerechte Gewinnung von Arbeitskräften. Crowdworking-Plattformen sind der Personalbeschaffung dann besonders dienlich, wenn sie entsprechend attraktiv und bekannt sind sowie eine hohe Gebrauchstauglichkeit aufweisen. Für die Beschaffung sind insbesondere die für die Arbeitseinheit benötigten Kompetenzen (und weniger die Qualifikationen) der Bewerber interessant. Da es auf dem Markt bereits verschiedene Anbieter von  Crowdworking-Plattformen gibt, sollte für einen größtmöglichen Talent-Pool eine entsprechende Vernetzung sichergestellt werden.
Hinsichtlich der Gestaltung der Arbeitsinhalte, des Arbeitsplatzes und der Arbeitszeit (Personaleinsatz) sollten die Grundsätze virtueller Zusammenarbeit erfüllt sein. Die Zusammenarbeit zwischen Auftraggeber und Auftragnehmer kann sich auf einer Crowdworking-Plattform auf die Auftragsvergabe mit entsprechenden Zielvereinbarungen beschränken. Gerade bei komplexen Aufgaben sollte die Arbeit darüber hinaus in (internationalen) Gruppen ermöglicht werden. Dazu gehört, neben der Unterstützung durch die technischen Gegebenheiten,  auch die Herausforderung der partizipativen und interkulturellen Personalführung auf Distanz. Die Führungskräfte sollten in der Lage sein, trotz der Kurzfristigkeit des Projekts, ein „Wir-Gefühl“ und enge kreative Zusammenarbeit zu erzeugen.
Weitere Herausforderungen der Crowdworking-Plattform sind für das Personal-management in den Aufgabenfeldern der Personalentlohnung und der Personalentwicklung zu sehen.  Die Entlohnung ist zu thematisieren, da sich Arbeitskräfte aus unterschiedlichen Herkunftsländern bewerben können.  Das Personalmanagement wird dadurch zwangsläufig international, da Entgelte zwecks Erhöhung der Wirtschaftlichkeit unter Berücksichtigung des weltweiten Vergleichs zu differenzieren sind. Durch die Einbeziehung der „Crowd“ kommt es zudem zu einer digital vermittelten Wissensteilung. Die Personalentwicklung beinhaltet sowohl die Vermittlung, Erweiterung und Vertiefung von Fachwissen, Fähigkeiten und Einstellungen als auch deren Umsetzung in Verhalten. Mit jeder Auftragsvergabe ist damit nicht nur die Einarbeitung der Arbeitskräfte in neue Arbeitsabläufe sicherzustellen, sondern auch der bestmögliche Wissensstand bereitzustellen. Durch die geringe Halbwertszeit von Wissen im Bereich Softwareentwicklung gilt es zu unterscheiden, welches Wissen einerseits gesichert und im Unternehmen verbreitet und welches andererseits nicht verankert wird. Die Plattform könnte als Lernplattform betrachtet werden, um den beteiligten Mitarbeitern neues Wissen projektbasiert zu vermitteln sowie Fähigkeiten auszubauen.
Das Crowdworking ist ein typisches Beispiel von Organisation 4.0. Für das (internationale) Personalmanagement ergeben sich daraus verschiedene Handlungsansätze:
  • Attraktive Plattformen und Communities sollten innerhalb und außerhalb des Unternehmens für Arbeitskräfte entwickelt und mit anderen Plattformen vernetzt werden.
  • Aufgrund der lokal unbegrenzten Rekrutierung von Arbeitskräften über Crowdworking-Plattformen ist das Personalmanagement (zwangsläufig) zu internationalisieren.
  • Zwecks Personalentwicklung sollten die Plattformen nicht nur zur Vermittlung von Aufträgen sondern auch zur Weiterentwicklung der Mitarbeiter genutzt werden, indem die Plattform als digitales Arbeitsmittel und Tutorensystem auf Grundlage von projektbasiertem Lernen eingesetzt wird.
  • Insbesondere das mittlere Management wird zum Ankerpunkt in einer digitalen und flexibilisierten Arbeitswelt sowie zu einem vermittelnden Faktor zwischen Technologieeinsatz und Arbeitskraft. Darauf ist entsprechend mit Fortbildungen im Bereich partizipativer und interkultureller Führung auf Distanz vorzubereiten.
  • Arbeitsschutzrechtliche Bestimmungen sind an die Realitäten der digitalen Arbeitswelt anzupassen, etwa mit Blick auf Arbeitszeit, Überwachung und Datensicherheit.
  • Der Betriebsrat sollte idealerweise als Innovationsmoderator gewonnen werden.
Abschließend lässt sich festhalten, dass das Beispiel Crowdworking die Herausforderungen der Organisation 4.0 für das Personalmanagement sehr gut beispielhaft verdeutlicht und zwar nicht nur in technischer sondern auch sozialer und ökonomischer Hinsicht.
Summary: The use of crowdworking can be seen as one example of Organisation 4.0. Crowdworking is the process of distributing work, generally broken down into smaller tasks, to crowdworkers via digital platforms. The work can be given either to a company’s own employees (internal crowdworking) or to third parties (external crowdworking), who are often solo self-employed individuals working for many customers worldwide. As workforce planning and work design are radically influenced by crowdworking, greater challenges can be determined for Human Resource Management (HRM). In order to meet those challenges HRM should use well-connected crowdworking platforms with tutorial systems. Especially the middle management should be trained in virtual, participative, and intercultural leadership skills. Existing fears of job losses or data insecurity should be taken seriously. Ideally the working council plays an important role as innovation facilitator.
Literatur: Apt, W./Bovenschulte, M./Hartmann, E. A./Wischmann, S. (2016): Foresight-Studie „Digitale Arbeitswelt“. Forschungsbericht 463 im Auftrag des  Bundesministeriums für Arbeit und Soziales. Berlin.Brynjolfsson, E./McAfee, A. (2014): The Second Machine Age: An Industrial Revolution Powered by Digital Technologies, in: Digital Transformation Review, Nr. 5, S. 12-17.Universität St. Gallen/Telekom Shareground (2015): Arbeit 4.0: Megatrends digitaler Arbeit der Zukunft – 25 Thesen, Ergebnisse eines Projekts von Shareground und der Universität St. Gallen, in: https://www.telekom.com/medien/konzern/285970

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