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Besonderheiten der systemtheoretischen Organisationtheorie

Die systemtheoretische Organisationstheorie basiert auf dem Gedankengut der Organisationstheorien von James March, Herbert A. Simon, Karl E. Weick oder Michel Crozier. Sie wird jedoch besonders deutlich von der neueren soziologischen Systemtheorie von Niklas Luhmann geprägt, die einen konzeptuellen Rahmen zur Verfügung stellt, der die Organisationstheorie in eine Theorie der Gesellschaft und ihrer Differenzierung einbettet. Sie unterliegt verschiedenen Leitdifferenzierungen, die jedoch hier nicht näher ausgeführt werden sollen. Für das Verständnis von Organisationen lässt sich jedoch wie folgt zusammenfassen: 

Da Luhmann das Autopoiese-Konzept auf soziale Systeme übertragen hat, sind auch Organisationen für ihn autopoietische Systeme. Sie werden nicht von außen kausal geradlinig bestimmt, sondern können allenfalls angeregt werden. Entsprechend der eigenen internen Strukturen findet dann eine Reaktion statt, die nicht vorhersagbar ist, da sie nicht unmittelbar auf den äußeren Reiz reagiert, sondern nur auf die eigenen Zustände. Die Organisation dient damit nicht einem Zweck, der bei Gründung festgelegt wurde, denn sie lässt sich nicht als Mittel kausal zur Zweckerreichung einsetzen. Vorrangiges Ziel ist allenfalls die Fortsetzung der Autopoiese der Organisation, d.h. die Aufrechterhaltung der System-Umwelt-Unterscheidung. 

Die Kommunikation ist auch in der systemtheoretischen Organisation das Basiselement. Da die Kommunikation aus den drei Bestandteilen Mitteilung, Information und Verstehen besteht, wird deutlich, dass sie nicht wie eine Handlung einseitig, also nur von einem Akteur durchgeführt werden kann. Sie ist vielmehr ein höchst selektiver Prozess, der sowohl seitens des Mitteilenden als auch seitens des Verstehenden verschiedene Möglichkeiten offen hält. Entsprechend ihrer jeweiligen Beobachtungen und Sinnhorizonte, selektieren die Kommunikationsteilnehmer und lassen Kommunikation stattfinden. Das Lebenselexier der Organisationen ist folglich die Verzahnung innerhalb des Kommunikationsprozesses und besteht somit aus einem zutiefst subjektiven Element. Es werden nicht objektive Nachrichten transportiert, sondern es findet eine wechselseitige Interpretation des im Kommunikationsvorgang beobachteten Verhaltens statt. Kommunikation kann damit nicht direkt beobachtet, sondern nur erschlossen werden .

Der Mensch ist deswegen aber nicht Teil der Organisation. Er ist zwar unverzichtbar für das Zustandekommen der Kommunikation und damit für die Existenz der Organisation. Sowohl sein Körper als auch seine Psyche werden jedoch als Umwelt der Organisation definiert. Simon (2007, S. 35-36) beschreibt es grandios einfach: „Ein menschlicher Körper ist kein mitgeteilter und verstandener Satz, auch wenn sich die Körperhaltung eines Menschen auf ihren Mitteilungsgehalt hin interpretieren lässt. Doch auch dann ist es ein Verhalten, d.h. die Teilnahme an der Kommunikation, die als Mitteilung fungiert, nicht der Organismus selbst. Analoges gilt für psychische Systeme. Auch sie sind notwendig, damit Kommunikation möglich wird, aber keine individuelle Psyche kann die Inhalte der Kommunikation festlegen, da kein Individuum die Macht darüber hat, wie es bzw. sein Verhalten von anderen verstanden wird.“  Die psychischen Systeme treten dadurch jedoch in ihrer Wichtigkeit nicht zurück, denn die Organisation ist von der sinnlichen Wahrnehmungsfähigkeit seiner Mitglieder abhängig. Die Geschehnisse in der Organisation können Folgen für ihre Mitglieder haben und umgekehrt: „Wenn Mitarbeiter sich unzufrieden, überfordert, unterfordert usw. fühlen, so kann das Auslöser für Veränderungen innerhalb der Organisation sein. Beides muss aber nicht der Fall sein. Denn die damit verbundenen Chancen wie Risiken sind daran gebunden, dass die psychische Reflexion oder Resonanz organisatorischer Verhältnisse ihrerseits eine Reflexion oder Resonanz innerhalb der Kommunikation der Organisation findet und umgekehrt.“ (Simon 2007, S. 40-41).

Darüber hinaus bietet das psychische System als Umwelt der Organisation„… die Möglichkeit, den Menschen als Teil der gesellschaftlichen Umwelt zugleich komplexer und ungebundener zu begreifen als dies möglich wäre, wenn er als Teil der Gesellschaft aufgefasst werden müsste; denn Umwelt ist im Vergleich zum System eben derjenige Bereich der Unterscheidung, der höhere Komplexität und geringeres Geordnetsein aufweist. Dem Menschen werden so höhere Freiheiten im Verhältnis zu seiner Umwelt konzediert, insbesondere Freiheiten zu unvernünftigem und unmoralischem Verhalten. Er ist nicht mehr Maß der Gesellschaft“ (Luhmann 1984, S. 288 f.).  

Damit ist der Mensch jedoch auch nicht der Konstrukteur der Organisation:

„Personen sind nach Luhmann … nicht die Konstrukteure der sozialen Wirklichkeit, allein deshalb nicht, weil ihnen die Komplexität sozialer Systeme (als ihre Umwelt) prinzipiell unbegreiflich bleibt. Ebenso wenig sind soziale Systeme (z.B. Institutionen oder Organisationen) Determinationsinstanzen individuellen Bewusstseins, genauer: bewusstseinsmäßiger Unterscheidungspraxis. Personen sind die Konstrukteure ihrer Weltsicht, während die Welt ist und bleibt, was sie ist … Individuen tun, was sie tun und wenn sie denken, sie konstruierten „soziale“ Wirklichkeit, dann denken sie, sie konstruierten soziale Wirklichkeit. „In Wirklichkeit“ stören sie nur und müssen es ihr selbst überlassen, was sie aus ihren Störungen macht. Konstrukteur sozialer Wirklichkeit zu sein, bleibt eine Vorstellung des Bewusstseins,  eine interne Operation, eine Beobachterfiktion, eine Einredung, die der Fortsetzung der eigenen weitere Gedankenführung dienlich sein mag, nicht aber zu verwechseln ist mit dem, was sie vorgibt zu sein: Konstruktion sozialer Wirklichkeit (Bardmann 1994, S. 144 f.).

Der Mensch spielt in der Organisation als Individuum demnach keine Rolle. Als Person ist er jedoch ein wesentlicher Bestandteil, sofern der Begriff der Person im Sinne Luhmanns verstanden wird: „Der Begriff der Person soll uns unter Rückgriff auf einen alten Sprachgebrauch dazu dienen, sowohl Autor, als auch Adresse, als auch ein Thema in Kommunikationssystemen zu bezeichnen. … Personen entstehen also durch Teilnahme von Menschen Kommunikation  … Sie leben nicht, sie denken nicht, sie sind Konstruktionen der Kommunikation für Zwecke der Kommunikation“ (Luhmann 2000, S. 89-90). Für die Organisation ist dann von großer Bedeutung, dass zwischen Personen und Rollen unterschieden werden kann. Die Rolle ermöglicht Funktionszuschreibungen, die den Handlungsverlauf strukturieren. Es handelt sich um bestimmte Verhaltenserwartungen, die von unterschiedlichen Personen erfüllt werden können und somit eine Konstanz und Strukturenbildung in der Organisation ermöglichen. Positions- und Stellenbeschreibungen sind gerade nicht auf eine Person zugeschnitten, sondern ermöglichen ihre Austauschbarkeit. Indem sie Verhaltensmuster jedoch vorgibt und dauerhaft festschreibt, können auch Strukturen stabil gehalten werden.

Wird in einer Organisation also darüber entschieden, ob eine Person angestellt wird und damit Mitglied des Systems wird, so gibt sie gleichzeitig einen Verhaltensspielraum vor und erhält ihre Struktur. „Nicht mehr Zufall und Notwendigkeit bestimmen allein, wie sie kombiniert werden, sondern es wird möglich sich in diesen Selektionsprozess zielgerichtet einzumischen, indem bestimmte Personen mit bestimmten Kompetenzen ausgewählt werden und zur Zusammenarbeit mit anderen Personen , die sie nicht selbst ausgesucht haben oder hätten, zu „verpflichten“ (!). So können Kommunikationssysteme entstehen, die sich spontan nie gebildet hätten: Organisationen.“ (Simon 2007, S. 45-46).  

Die systemtheoretische Organisationstheorie kann einem subjektiven Ansatz folglich nicht uneingeschränkt zugeordnet werden. Die organisationalen Erwartungen orientieren sich nicht an den Bedürfnissen der Mitglieder, sondern sind auf Rollen, Aufgaben und Positionen gerichtet. Andererseits ist das basale Grundelement der Organisation die Kommunikation und damit ein subjektiv mittels Interpretation zu erschließender Vorgang. Die systemtheoretische Organisationstheorie kann jedoch auch nicht dem objektiven Ansatz zugeteilt werden. Die mit dem objektiven Ansatz erfassten Theoriemodelle stellen die Akteure der Organisation nicht in Wechselwirkung mit der Organisation, sondern erkennen lediglich die Wirkrichtung Organisation -> Akteur an. Für die Analyse des Konfliktphänomens in der betrieblichen Organisation würde dies bedeuten, dass sich das Erkenntnisinteresse auf organisationale Strukturen und ihre Wirkung auf den Konflikt und umgedreht konzentrieren würde. Entscheidend ist im Sinne einer systemtheoretisch beeinflussten Analyse hingegen, dass die systemische Funktionslogik der Organisation beobachtet wird, die sich grundlegend in ihrer System-Umwelt-Abgrenzung ausdrückt.

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