Neulich wurde mir die interessante Frage gestellt, nach welchen Spielregeln ein Streit gelingen kann.
Zunächst stolperte ich über den Begriff der Spielregeln. Welche Spielregeln? Gestritten wird eher abseits von Regeln. Und Konflikte werden nicht als Spiel empfunden, sondern meist todernst genommen. Gelegentlich wird mit strategischem Kalkül gekämpft, aber spielerisch geht es dabei selten zu. Die Ausgangsfrage zielte aber wohl auf erfolgversprechende Maßnahmen ab, welche einen Streit positiv beeinflussen können. Auf diese Frage werde ich gleich eingehen.
Doch zunächst möchte ich den „guten“ Streit, der in unserem Gespräch so von Interesse war, beleuchten. Häufig wird ein Streit zwar als „gut“ empfunden, wenn beide Parteien ihren Willen durchsetzen konnten. Diese sogenannte Win-win-Lösung, welche allseitig die Interessen der Beteiligten berücksichtigt, ist nicht erst seit dem Bestseller von Fisher, Ury & Patton, Getting to yes (Das Harvard-Konzept), höchst attraktiv, weil danach keiner als Verlierer nach Hause geht.
Doch dies ist nur eine Variante des guten Streits. Denn zum Beispiel die einseitige Durchsetzung oder der Rückzug vom eigenen Anliegen können auch einen „guten“ Konflikt ausmachen. Denn es kommt darauf an, unter welchen Bedingungen gestritten wird. So kann beispielsweise am Arbeitsplatz der Konfliktverlauf mit einer Kollegin selbst dann „gut“ sein, wenn man seine Position nicht durchgesetzt bekommt, dafür aber einen Konfliktverlauf aus der Vergangenheit ausgleicht, der damals zuungunsten der Kollegin ausgegangen war. Ein zeitversetzter fairer Ausgleich sozusagen. Ein anderes Beispiel wäre, dass das Konfliktumfeld sehr volatil und unsicher ist, sodass -unter diesen Bedingungen- eine schnelle einseitige Durchsetzung die beste Lösung für alle ist. Thomas & Kilmann hatten dies schon in den 70er Jahren untersucht und die fünf Varianten des Streitens: Competing, Avoiding, Compromising, Collaborating und Accomodating herausgestellt. Ihrer Ansicht nach kann jede dieser fünf Konfliktmodi erfolgreich und damit „gut“ sein. Es kommt auf die Bedingungen an, in denen sich der konkrete Konflikt abspielt.
Doch kommen wir nun zu den Maßnahmen, die man ergreifen kann, um einen Streit nicht völlig lösungsfern oder negativ verlaufen zu lassen:
- Respekt bewahren: Es ist entscheidend, den anderen auch während eines Streits zu respektieren. Vermeide Beleidigungen, Herabsetzungen oder aggressive Körpersprache. Und stelle Dir vor, auch wenn es schwerfällt, dass der andere höchstwahrscheinlich einen guten Grund für seine gegenteilige Meinung hat. Dies öffnet den Raum für eine respektvolle Diskussion.
- Bei der Sache bleiben: Vermeide es, alte Konflikte oder persönliche Angriffe einzubringen. Konzentriere dich auf das aktuelle Thema und versuche, es nicht unnötig zu verkomplizieren.
- Aktiv zuhören: Gib der anderen Person Raum, sich auszudrücken, und höre aufmerksam zu, ohne sofort zu unterbrechen oder zu reagieren. Gebe die Perspektive des anderen in eigenen Worten wieder, auch wenn du inhaltlich nicht zustimmst. (Eine besonders schwierige Übung wie sich immer wieder bei meinen Studierenden zeigt, die viel lieber einen Rat geben anstatt zu refomulieren).
- Ich-Botschaften verwenden: Statt „Du machst immer…“ ist es hilfreich, von eigenen Gefühlen und Bedürfnissen zu sprechen, z.B. „Ich fühle mich verletzt, wenn…“. Das nimmt der Diskussion die Schärfe und fördert die Verständigung.
- Gefühle ernst nehmen: Emotionen sind ein wesentlicher Bestandteil eines Streits. Übrigens auch im Wirtschaftskontext und am Arbeitsplatz. Achte darauf, sie zu benennen und zu respektieren, ohne sie zu verharmlosen oder abzutun.
- Lösungsorientiert bleiben: Ein Streit sollte nicht dazu dienen, den anderen zu besiegen, sondern eine Lösung zu finden. Überlegt gemeinsam, wie ihr den Konflikt lösen könnt. Kompromisse sind, insbesondere bei Zeitdruck oder begrenzten Ressourcen, oft notwendig.
- Wissen, wann eine Pause nötig ist: Wenn der Streit zu emotional wird oder sich im Kreis dreht, ist es besser, eine Pause einzulegen. Dadurch können beide Parteien sich beruhigen und die Diskussion später produktiver fortsetzen.
- Verantwortung übernehmen: Wenn du Fehler gemacht hast, lerne daraus. Verantwortung zu übernehmen zeigt Reife und stärkt das Vertrauen.
Diese Maßnahmen tragen also dazu bei, einen Streit nicht zu destruktiv und lösungsfern verlaufen zu lassen.
Besonders zufriedenstellend ist ein Streit allerdings erst, wenn er zu einer besseren Verständigung geführt und das gegenseitige Verständnis vertieft hat. Gerade im familiären Bereich geht es weniger darum, wer „gewinnt“, sondern darum, auf Augenhöhe miteinander umzugehen und gemeinsam eine Lösung zu finden. Da bedarf es noch etwas mehr als die oben genannten Maßnahmen